Wenn die Geister schweigen

Kapitel 5 – Der hintere Teil der Bibliothek

Wenn die Geister schweigen – Kapitel 5: Der hintere Teil der Bibliothek, gelesen von Lisa Koscielniak

Eine ältere Dame stand an einem Tresen, der über und über von Büchern bedeckt war und sah uns mit großen Augen an. Dass sie so riesige Augen hatte, lag an der Brille mit den dicken Gläsern, die sie trug. Was für ein niedliches Klischee. Genau so stellte ich mir die Bibliothekarin einer Stadtbibliothek vor: Klein und schmächtig, mit dieser dicken Brille, freundlichen Augen, einem langen Kleid mit kleinen Blumen darauf und einem Blick, der soviel Weisheit, wie all die Bücher hier enthielt.

„Herzlich Willkommen. Flo, du bringst eine Freundin mit? Wie ungewöhnlich“, sagte die Frau und winkte uns zu sich. „Darf ich vorstellen, das ist Alma. Die beste Bibliothekarin der Welt“, erklärte Flo. „Jetzt übertreib aber nicht“, sagte Alma und man sah ihr an, wie geschmeichelt sie war. Flo wusste, wie er mit ihr reden musste. „Wie kann ich euch helfen? Ihr sucht doch sicherlich etwas bestimmtes, oder?“, fragte sie dann. „Das stimmt. Wir würden gerne nach hinten und uns die alten Bücher ansehen“, antwortete Flo.

Alma nickte und verließ den Tresen. „Eine gute Wahl“, sagte sie dann und zwinkerte mir geheimnisvoll zu. Sie führte uns in den hinteren Teil des Ladens, vorbei an allen möglichen Büchern, die sich überall in die Höhe stapelten. Jedes Regal hatte ein Motto. Schulbücher, Bücher über Katzen und Hunde, Bücher über Blumen. Alles hatte seinen Platz, obwohl es auf den ersten Blick recht unaufgeräumt wirkte. Es folgte doch alles einer bestimmten Ordnung unter den wachsamen Augen von Alma.

Wir kamen an einer alten Holztür an. Mit verschwörerischem Blick holte Alma einen alten, verrosteten Schlüssel unter ihrem Kleid hervor und öffnete die Tür. Ein gedehntes, hohes Quietschen ertönte und die Tür schwang auf. Dahinter verbarg sich ein weiterer Raum. In dem Licht, das durch die teilweise verdeckten Fenster drang, tanzten Staubkörner, aufgewirbelt vom Luftzug der Tür. Ein paar Glasvitrinen standen im Raum und an der uns gegenüberliegenden Wand befand sich ein weiteres Bücherregal.

„Folgende Regeln müssen beachtet werden. Die Bücher in den Vitrinen dürfen nicht herausgenommen werden. Wenn euch eins von denen interessiert, sprecht mich bitte an. Die anderen Bücher dürft ihr herausnehmen und durchblättern. Seid dabei aber bitte vorsichtig und tragt diese Handschuhe. Feuer ist verboten. Alles hier ist sehr leicht entflammbar. Achtet darauf, dass keine Eselsohren entstehen und krizzelt nichts auf die Seiten. Wenn ihr Fragen habt, dann ruft mich gerne, ich bin in der Nähe“, erklärte sie ernst. Ich konnte das Donnerwetter, das es bei Regelverstößen von ihr geben würde, nur erahnen und zog schnell die Handschuhe an.

Vorsichtig näherte ich mich dem Bücherregal. Ich traute mich kaum, eines der Bücher zu berühren oder gar herauszunehmen. Das lag nicht nur an Almas höchstwahrscheinlich darauf folgendem Wutausbruch, sondern auch daran, dass diese Bücher unglaublich wertvoll sein mussten. Es waren alles handwerkliche Meisterwerke. Von Hand beschrieben und mit vielen kleinen Verzierungen und Bildern. Ehrfürchtig überflog ich die Buchtitel und schritt das Regal ab. Dann blieb ich stehen. Ein Titel hatte meine Aufmerksamkeit erweckt. “Ich glaube, ich habe hier was“, sagte ich zu Flo und zeigte auf das Buch.

© Lisa Koscielniak and Lisas Gedankenbutze

2021-10-19T15:30:00

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Kapitel 6

Veröffentlicht von LisaK

Autorin und Bloggerin

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